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Die NASA entwickelte erste digitale Zwillinge schon in den 1960er-Jahren, um Technologien zu testen, bevor sie im All verloren gingen. Urbane digitale Zwillinge – also dynamische, digitale Modelle einer Stadt oder eines Stadtteils – stecken hingegen noch in den Kinderschuhen. Bei sinnvoller Weiterentwicklung können sie künftig aber als wichtiges Werkzeug zur Umsetzung kommunaler Aufgaben und als Grundlage für plausible Entscheidungen dienen. Die Hoffnungen sind groß, dass sie Prozesse der Stadtplanung und Standardisierungsvorhaben optimieren. Zusätzlich könnten sie neue Arten der Bürgerbeteiligung schaffen, die für mehr Transparenz und Akzeptanz sorgen.
Das Thema digitale Zwillinge in der Stadtentwicklung hat bei den vom Bund geförderten Modellprojekten Smart Cities seit dem Start des Programms enorm an Bedeutung gewonnen. 22 der insgesamt 73 Modellprojekte haben das Thema digitaler Zwilling bereits im Projektantrag benannt. Bei einer Befragung Juli 2022 gaben bereits 29 MPSC den Aufbau eines digitalen Zwillings als Ziel an. Inzwischen haben sich über 50 Modellprojekte in der Arbeits- und Entwicklungsgemeinschaft „Urbane Digitale Zwillinge“ zusammengeschlossen.
Dazu gehören Großstädte wie Hamburg, München und Leipzig, aber auch kleine Kommunen wie Haßfurt. Die meisten Kommunen starteten im Bereich des Geodatenmanagements mit dem Aufbau eines 2D- oder 3D-Stadtmodells. In diese Modelle binden sie unter anderem Anwendungsfälle aus den Bereichen Stadtplanung, Mobilität, Klima, Nachhaltigkeit und Energie ein. Spannende Einblicke liefert die im Rahmen der MPSC-Begleitforschung veröffentlichte Studie Digitale Zwillinge – Potenziale in der Stadtentwicklung.
Mönchengladbach: Modulares 3D-Modell
Während sich die meisten in der Studie betrachteten Kommunen Mitte 2023 noch in der Planungs- und Strategiephase befanden, sind wenige Monate später einige digitale Zwillinge in der Umsetzung. Dazu zählt auch der digitale Zwilling Mönchengladbachs.
Das 3D-Modell der Stadt am Niederrhein basiert auf Geodaten des Landes Nordrhein-Westfalen. Für den Prototypen wurden zudem erste Drohnenaufnahmen angefertigt und als dreidimensionales Luftbild – „3D-Mesh“ – ausgegeben. In den fertigen Geobasiszwilling hat die Stadt erste eigene Sensoren integriert, bereits verfügbare externe Datenschnittstellen angebunden und erste Fachdaten integriert. Der digitale Zwilling ist modular aufgebaut und enthält neben dem Geobasiszwilling die Module Stadtplanung, Mobilität, Energie, digitale Infrastruktur, Umwelt, Bildung und Soziales. Zukünftig soll es auch einen Zwilling für das Thema Nachhaltigkeit sowie einen zum Thema Ordnung und Sicherheit geben, der etwa Standorte von Polizei oder Feuerwehr abbildet. Im Bereich Mobilität sollen wiederum Schnittstellen verschiedener Anbieter von Scootern, (E-)Bikesharing, Carsharing und ÖPNV entstehen. Der digitale Zwilling selbst ist bereits öffentlich zugänglich.
Das Gladbacher Projekt zielt unter anderem auf die Verknüpfung und Visualisierung verschiedener Datenquellen in einem System, detailgetreue Ist-Analysen, Simulationen von Was-wäre-wenn-Szenarien, Darstellungen städtebaulicher Maßnahmen und neue Formen der Bürgerbeteiligung ab. Insbesondere mit letzteren hat Mönchengladbach gute Erfahrungen gesammelt. Laut Aussage der Stadt gefiel den Bürgerinnen und Bürgern besonders die Darstellung der Bauvorhaben in der 3D-Welt der Stadt, durch die sie sich bewegen konnten.
Wie Mönchengladbach den digitalen Zwilling technisch umsetzt
Die Stadt Mönchengladbach hat den digitalen Zwilling in ihre Bestandsinfrastruktur eingebunden, ein IT-Dienstleister hostet ihn. Der Zwilling selbst läuft auf der ArcGIS-Plattform. Auch wenn Open-Source-Lösungen wie QGIS zur Verfügung stehen, hat sich Mönchengladbach für die bestehende Struktur entschieden, um Redundanzen und somit zusätzliche Kosten zu vermeiden. Der Geobasiszwilling besteht aus Gebäudemodellen in zwei Detaillierungsgraden, die sich künftig um das 3D-Mesh-Modell ergänzen lassen. Zusätzlich ist das sogenannte digitale Geländemodell 5 (DGM5), welches die Geländeform der Erdoberfläche darstellt, eingebunden. Über ein LoRaWAN-Netz spielt die Stadt erste Sensordaten in den digitalen Zwilling ein. Anhand von Anwendungsfällen prüft sie, welche Daten bereits vorhanden sind und welche Daten noch fehlen. Dabei wird zuerst kontrolliert, welche Daten das Land mit welcher Abdeckung und Qualität bereits zur Verfügung stellt und welche Daten den Fachämtern vorliegen. Danach werden auch Schnittstellen zu externen Datenquellen aufgebaut, die für den jeweiligen Anwendungsfall relevant sind. Als Beispiel sind hier Schuldaten oder Schnittstellen zu (E-Bike)-Anbietern zu nennen. Erste Sensorikdaten werden bereits zu den Themen Umwelt und Verkehr gesammelt, analysiert und in Dashboards visualisiert. Auch mit ersten KI-Anwendungen wird begonnen. Dabei dienen Vermessungsdaten aus einem Testgebiet als Trainingsdatensatz, um die Topografien von Objekten in Luftbildern bestimmen und übertragen zu können. Auf diese Weise wird das Topographiekataster aktualisiert.
Erfahrungen in Mönchengladbach: Begeisterung, aber auch Herausforderungen
Die Stadt berichtet, dass der Einsatz des digitalen Zwillings Bürgerinnen und Bürger begeistert und das Projekt für sie greifbarer gemacht hat. Auch in der Stadtverwaltung verändert sich die Wahrnehmung. Immer mehr Fachämter beteiligen sich aktiv am digitalen Zwilling, was automatisch auch den internen Austausch von Daten verbessert.
Daneben gibt es aber auch Herausforderungen, dem sich das Team rund um den digitalen Zwilling stellen muss. Hierzu gehören veränderte IT-Prozesse, die die reibungslose Arbeit mit dem digitalen Zwilling erschweren, oder der Umgang mit der für die Echtzeitdaten verantwortlichen Sensorik. Erst, wenn die Sensorik funktioniert und die Qualität der Daten sowie ihre Aussagekraft gewährleistet ist, lässt sich ein digitaler Zwilling nutzen. Die vorhandenen Datensätze müssen mit jeder Anwendung im digitalen Zwilling erfasst und erweitert werden, was sich als intensiver und langwieriger Prozess erwiesen hat. Zu den größten Herausforderungen zählt aktuell die Abhängigkeit von Dienstleistern und deren Qualitätssicherung sowie das Herstellen von Schnittstellen.
Auch wenn das Team in Mönchengladbach bereits erste Schritte mit dem digitalen Zwilling gegangen ist, möchte es künftig viele zusätzliche Anwendungen integrieren und die Mehrwerte des digitalen Zwillings weiter ergründen. Dazu gehören auch die Fragen, welche Daten, welcher Detaillierungsgrad oder welche Aktualität der Datensätze in den Geobasiszwilling gehört und wie der digitale Zwilling am effektivsten funktioniert.
Digitale Zwillinge nachhaltig integrieren
Der digitale Zwilling entwickelt sich, vor allem weil sich immer mehr Daten in die Anwendung einspeisen lassen. Kommunen wie Mönchengladbach haben wichtige Anwendungsfälle bereits simuliert und Bürgerinnen und Bürger über den digitalen Zwilling beteiligt. Durch zusammengeführte Daten und Prozesse lassen sich Kosten und Zeitaufwände bereits heute einsparen. Dennoch steckt der digitale Zwilling weiterhin in den Kinderschuhen. Viele künftige Potenziale und Vorteile, die sich aus digitalen Zwillingen ergeben, sind am Horizont zwar bereits sichtbar, aber noch nicht in Reichweite.
Leselinks und Literatur
Geoportal Mönchengladbach
http://stadtmg.de/geo-mg
Studie aus der Begleitforschung der Modellprojekte Smart Cities