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Unsere Städte stecken voller Hindernisse, die vielen Menschen das Leben erschweren. Der französische Soziologe und Philosoph Henri Lefebvre hat bereits 1968 erklärt, dass jedem Menschen das „Recht auf Stadt“ zustehen würde – also das Recht, die Stadt nach seinen Bedürfnissen zu nutzen und zu erleben. Doch das geht nur, wenn alle Menschen, ob mit oder ohne Behinderung, sich frei darin bewegen und teilhaben können.
Stellen Sie sich vor, Sie bewegen sich durch die Straßen einer hochmodernen Stadt: Ampeln regeln den Verkehr selbstständig, Busse fahren autonom, defekte Aufzüge oder Rolltreppen werden automatisiert erfasst, Datenflüsse ermöglichen eine ideale Verteilung der Passantinnen und Passanten und digitale Informationstafeln weisen den Weg. Alles scheint durchdacht – doch nur, solange Sie all diese smarten Lösungen auch problemlos nutzen können. Denn Technologien bieten zwar zahlreiche Möglichkeiten eine Stadt barrierefreier zu gestalten – gleichzeitig sollten sie jedoch auch niedrigschwellig nutzbar und ebenfalls barrierefrei gestaltet sein. Denn für viele Menschen bleiben die Möglichkeit zur Teilhabe im öffentlichen Raum und die Nutzung digitaler Lösungen von Barrieren geprägt.
Es geht darum, Städte so zu gestalten, dass sie für alle funktionieren. Oder, um es in den Worten des Sozialaktivisten Raul Krauthausen zu sagen: „Warum gehen wir eigentlich davon aus, dass es okay zu sein schien [und immer noch scheint, Anm. d. Verf.], dass behinderte Menschen in bestimmte Orte nicht reindurften, dürfen, können sollen oder wollen?“
Mehr als Technik – auf dem Weg zu echter Inklusion in einer mitdenkenden Stadt
Technologische Innovationen bieten enormes Potenzial, um Barrieren abzubauen und den urbanen Raum für Menschen mit Behinderungen zugänglicher zu gestalten. Im Vordergrund sollte dabei Inklusion als zentrales Ziel stehen, sodass die Nutzung von digitalen Lösungen darauf ausgelegt wird, das Leben für alle Bürgerinnen und Bürger zu erleichtern und verbessern. So können digitale Technologien auf Barrieren hinweisen, diese erkennen und Lösungen aufzeigen, etwa durch intelligente Systeme oder mit menschlicher Unterstützung.
Im Kontext von Smart Cities weisen besonders drei Bereiche eine große Relevanz auf: intelligente Verkehrssysteme, digitale Plattformen und das Internet der Dinge (IoT). Die „mitdenkende“, vernetzte Stadt verhindert nicht nur gravierende Unannehmlichkeiten, sondern fördert echte Teilhabe am öffentlichen Leben.
Wir wünschen uns eine Stadt, die nicht nur reagiert, sondern proaktiv auf die Bedürfnisse der Menschen eingeht – und das mithilfe von smarter Technologie. Wie dieser Wunsch Realität werden kann, machen inspirierende Projekte deutlich, die zeigen, wie Technologie Barrieren abbauen und die Teilhabe im urbanen Raum konkret fördern kann.
Erfolgsbeispiel Wheelmap: Wie digitale Plattformen Barrierefreiheit fördern können
Digitale Plattformen sind seit vielen Jahren ein elementarer Baustein auf dem Weg zur Barrierefreiheit von smarten Städten und Regionen. Eine der bekanntesten Lösungen in diesem Bereich ist die App „Wheelmap“. Wheelmap entstand aus einer Alltagserfahrung von Raul Krauthausen, als er und ein Freund wegen mangelnder Informationen über barrierefreie Cafés gezwungen waren, sich stets im selben Lokal zu treffen. Krauthausen hat die sogenannte Glasknochenkrankheit und nutzt einen Rollstuhl.
Diese Situation – beispielhaft für die alltäglichen Barrieren von Menschen, die in ihrer Mobilität behindert werden – inspirierte die Idee einer auf OpenStreetMaps basierenden Karte, die barrierefreie Orte übersichtlich verzeichnet. Seit 2010 ermöglicht die App ihren Nutzerinnen und Nutzern barrierefreie Orte in ihrer Umgebung zu finden und zu bewerten. Cafés, Restaurants, Kinos oder öffentliche Toiletten – die App zeigt, welche Orte barrierefrei zugänglich sind und welche nicht.
Wheelmap ist dabei nicht nur ein Tool zur reinen Information, sondern fördert auch eine Community-getriebene Weiterentwicklung: Nutzerinnen und Nutzer tragen aktiv dazu bei, neue Orte zu bewerten oder auf Barrieren hinzuweisen. Durch den Erwerb lokaler Lizenzen zur Datennutzung und Integration von Wheelmap in städtische Systeme können Kommunen selbst kreativ mit den Daten arbeiten. Das zeigt beispielsweise das Modellprojekt Smart Cities Konstanz. Es ist möglich, Gastronomen oder Gewerbetreibende auf fehlende Rollstuhlrampen hinzuweisen, als Stadtverwaltung eigenständig Barrieren abzubauen oder zu gemeinsamen Mapping-Aktionen für Menschen mit und ohne Behinderung aufzurufen.
Verkehr inklusiv gestalten? Geht!
Ein weiteres Beispiel für die Anwendung von Technologie im Bereich Mobilität ist das intelligente Verkehrssystem der Stadt Wien, das sich aktuell in der Testphase befindet. Dieses soll per optischer Detektion erkennen, wenn sich Menschen mit Mobilitätsbeeinträchtigungen einem Zebrastreifen oder einer Ampel nähern, und verlängert automatisch die Grünphase für Fußgängerinnen und Fußgänger, sodass mehr Zeit für das Überqueren der Straße bleibt.
Hier zeigt sich der große Vorteil von Smart Cities:
Technologie, die an den Bedürfnissen der Menschen ausgerichtet ist, schafft nicht nur Komfort, sondern auch Sicherheit. Eine ähnliche Idee steckt hinter „dynamischen“ Ampeln, die auf akustische Signale setzen und Menschen mit visuellen Beeinträchtigungen durch Töne und Vibrationen beim Überqueren von Straßen helfen. Durch den Einsatz von Sensoren und Echtzeitdaten könnten zudem potenzielle Gefahren erkannt und verhindert werden, indem beispielsweise das Signal für sich nähernde Fahrzeuge angepasst wird.
Partizipative Stadtentwicklung: Menschen mit Behinderungen als Expertinnen und Experten einbinden
Partizipation beginnt nicht erst am Ende des Stadtentwicklungsprozesses, schlicht durch die Bereitstellung von Smart-City-Lösungen, die ein inklusiveres Stadtleben bieten können. Menschen mit Behinderungen als unmittelbar betroffene Personen selbst erkennen Barrieren im urbanen Raum und ihrem Lebensumfeld anhand ihrer eigenen Erfahrungen am besten. Demnach ist es auch von großer Bedeutung, sie im Rahmen partizipativer Prozesse von Anfang an in die Stadtentwicklung und in Planungen zu Smart-City-Lösungen mit einzubeziehen. Dafür bieten sich eine Reihe partizipativer Formate einer inklusiven Stadtentwicklung wie Workshops, Diskussionsformate oder auch Stadtteiltouren an.
Im Modellprojekt Smart Cities Bamberg wird auf den Einsatz von sogenannten Zielgruppenanwältinnen und -anwälten gesetzt. Diese ehrenamtlichen Vertreterinnen und Vertreter aus diversen Bevölkerungsgruppen (darunter Studierende, Menschen mit Behinderung, Seniorinnen und Senioren sowie Familien) sorgen seit Mai 2022 dafür, die vielfältigen Bedürfnisse der Stadtgesellschaft in die Planungsprozesse einfließen zu lassen. Ziel ist es, die smarte Stadtentwicklung inklusiv zu gestalten, indem die Perspektiven und Bedarfe der Bürgerinnen und Bürger aktiv in die Projekte integriert werden.
Kultur inklusiv erleben
Dass eine inklusive Daseinsvorsorge im urbanen Raum mehr bedarf als lediglich Möglichkeiten zur barrierefreien Mobilität bereitzustellen, zeigt das Modellprojekt Smart Cities Regensburg eindrücklich: Hier wird inklusive, smarte Stadtgestaltung auch im Bereich des kulturellen Erlebens weitergedacht. In Regensburg leben rund 24.000 Menschen mit anerkannter Behinderung, und auch viele Besucherinnen und Besucher mit Behinderungen möchten die Stadt und ihr UNESCO-Welterbe erleben.
Da jedoch zahlreiche Kultureinrichtungen aufgrund von Denkmalschutz und baulichen Gegebenheiten nicht barrierefrei zugänglich sind, hat die Stadt eine innovative Lösung entwickelt: das virtuelle Welterbe. Mithilfe einer digitalen Anwendung sollen historische Stätten über Filme, Sprachausgaben und andere barrierefreie Formate erlebbar gemacht werden. Ergänzt wird dies durch eine nutzerspezifische, barrierefreie Routenplanung zwischen den Sehenswürdigkeiten. Die Lösung basiert auf dem Prinzip des „Inclusive Designs“ und wurde in enger Zusammenarbeit mit den Betroffenen und künftigen Nutzenden entwickelt – auch hier wird partizipative Stadtentwicklung also tatsächlich gelebt.
Gemeinsam die inklusive Stadt von morgen gestalten
Die Beispiele zeigen – es geht voran!
Aber wer befördert die Veränderung hin zu mehr Inklusion? Eine inklusive Stadt darf nicht allein von engagierten Communities abhängen. Um inklusive smarte Städte und Regionen zu schaffen, muss Barrierefreiheit von Anfang an in kommunale Planungsprozesse integriert werden. Die Verantwortung dafür liegt sowohl bei der Kommune selbst als auch bei uns allen als Stadtgesellschaft. Auch deshalb ist es an der Zeit, das Bewusstsein dieser zu schärfen und dafür zu sorgen, dass der Abbau von Barrieren und die Förderung von Teilhabe für alle selbstverständlich werden.
Lassen Sie uns den internationalen Tag der Menschen mit Behinderung nutzen – vielleicht für einen wachen Spaziergang durch die eigene Stadt, das eigene Dorf. Achten Sie auf mögliche Barrieren, tauschen Sie sich aus, bringen Sie Ideen ein. Es gilt, langfristige Veränderungen anzustoßen – sodass alle in einer smarten Stadt oder Region in Anlehnung an Henri Lefebvre ihr „Recht auf Stadt“ ausleben können.
Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben die Meinung der Autorin oder des Autors wieder.
Literatur
Heyn, T.; Heckenroth, M.; Schmandt, M., 2021: Einsamkeit in der Sozialen Stadt – kann Digitalisierung eine Brücke schlagen? Kurzexpertise der Bundestransferstelle Sozialer Zusammenhalt. Empirica. Zugriff: https://www.staedtebaufoerderung.info/SharedDocs/downloads/DE/Programme/SozialerZusammenhalt/2021_03_11_Einsamkeit_in_der_Sozialen_Stadt_Download.pdf?__blob=publicationFile&v=4 [abgerufen am: 14. November 2024].
Lefebvre, H., 1968: Le Droit à la ville. Economica-Anthropos (3e édition) 2009. Paris: Éditions du Seuil.
Weitere Linktipps
- Interview des WDR mit Raul Krauthausen
- Wheelmap des Sozialhelden e.V.
- Integration der Wheelmap in Konstanz
- News-Beitrag zum intelligenten Verkehrssystem der Stadt Wien
- Zielgruppenanwältinnen und -anwälte der Stadt Bamberg
- Virtuelles Welterbe der Stadt Regensburg
- Überblick über Inclusive Design
Veranstaltungshinweis
18. Regionalkonferenz in Kassel:
Social Smart – Barrieren abbauen in der Smart City
Die Konferenz bietet vielfältige Einblicke in die Praxis: Lernen Sie das Modellprojekt Smart Cities Kassel und innovative Lösungsansätze wie das Fernassistenz-Projekt kennen. Die Idee des Projekts ist es, dass Menschen mit Behinderung per Smartphone professionelle Hilfe von geschulten menschlichen Helfern anfordern können.
Weitere spannende Projekte und Technologien werden bei einem interaktiven Markt der Möglichkeiten vorgestellt: Nutzen Sie die Gelegenheit, mit Expertinnen und Experten aus Verwaltung, Politik und Wissenschaft ins Gespräch zu kommen. Allen Kommunen auf dem Weg zur smarten Stadt oder Region empfehlen wir besonders, den Stand unseres Start-Smart-Teams zu besuchen und sich direkt vor Ort beraten zu lassen.
In den Workshops am Nachmittag können Sie die Themen digitale Hilfsmittel zur Barrierefreiheit, inklusives Vorgehen bei der Digitalisierung und Einstiegsmöglichkeiten in die Smart City für Kommunen vertiefen. Das Podium zum Abschluss greift unter der Fragestellung „Nimmt die Smart City alle mit?“ die Impulse des Tages auf. Eine Exkursion ins Future Space in der Kasseler Innenstadt mit anschließendem Get-together ermöglicht spannende Einblicke und zahlreiche Chancen zum Networking.
5. Dezember 2024, 9:30 Uhr bis 16:00 Uhr
(im Anschluss Exkursion und Get-together)
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Weitere Informationen
Die Veranstaltung des Bundesministeriums für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen (BMWSB) wird durch die Koordinierungs- und Transferstelle Modellprojekte Smart Cities (KTS) ausgerichtet. Kooperationspartner: Geschäftsstelle Smarte Region Hessen, Hessisches Ministerium für Digitalisierung und Innovation.