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Digitale Beteiligung einfacher machen

CONSUL, adhocracy+ oder DIPAS – eine Vielzahl von Tools unterstützen Kommunen dabei, digitale Bürgerbeteiligung in der Stadtentwicklung zu organisieren und auszugestalten. Das Problem: Die Tools stehen jeweils für sich und erlauben miteinander keine durchgängige Benutzererfahrung. Für eine erfolgreiche, im Beteiligungsprozess ineinandergreifende Nutzung der unterschiedlichen Tools braucht es deren Integration in eine ganzheitlich verstandene „Beteiligungstoolbox“.

21.03.2024

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„Ziel ist es, die Zugänglichkeit zu digitaler Beteiligung einfacher zu machen“, erklärt Kim Strupp. Sie ist Projektkoordinatorin für die Smarte KielRegion, steht an diesem Tag aber in einer alten Industriehalle in Hildesheim. Durch die hohen Sprossenfenster fällt das Sonnenlicht auf ein Dutzend Arbeitstische. Sie steht hier nicht alleine – gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen aus Lübeck, Hildesheim und Bamberg hat sie ein zweitägiges Barcamp organisiert, das nicht weniger will, als die digitale Beteiligung in der Stadtentwicklung auf ein neues Level zu heben. Alle vier Kommunen und Regionen sind Modellprojekte Smart Cities (MPSC) im gleichnamigen Förderprogramm des Bundesministeriums für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen (BMWSB).

Die über fünfzig Teilnehmerinnen und Teilnehmer, die hier im März 2024 im Barcamp zu digitalen Beteiligungstools kreativ zusammenarbeiten, kommen aus ganz unterschiedlichen Kontexten: Vertreterinnen und Vertreter weiterer Kommunen wie Dresden, Hameln-Pyrmont, Hamburg oder Goslar, aber auch Dienstleister und Anbieter, die digitale Tools für Beteiligungsschritte entwickeln.

Sie arbeiten gemeinsam daran, die Mitwirkung von Bürgerinnen und Bürgern an der Gestaltung ihrer Kommune zu verbessern. Dass es darum geht, Stadt und Region gemeinsam zu entwickeln, steht hier außer Frage. Aber wie das Zusammenwirken der Tools, welche die Kommunen einsetzen, verbessert werden kann – das ist die Frage dieses Barcamps. Die vier Modellprojekte Smart Cities haben sich im Rahmen des Förderprogramms zu einer „Entwicklungspartnerschaft Beteiligungstoolbox“ zusammengeschlossen. Mit dieser Initiative wollen sie mit den Anbietern der Tools darauf hinarbeiten, ein zusammengehöriges Ökosystem von Beteiligungstools zu entwickeln – statt unverbundener Einzellösungen. Das Barcamp mit den unterschiedlichen Akteuren ist der erste Schritt hierzu.

 

Teilnehmede des Barcamps
Wie lässt sich das Zusammenwirken der Tools, welche Kommunen zur Beteiligung einsetzen, verbessern? – das ist die zentrale Frage des Barcamps. Jan Abt, difu

Was digitale Beteiligungsinstrumente leisten sollen

Digitale Beteiligung und Zusammenarbeit mit Bürgerinnen und Bürgern sind seit einigen Jahren in den Kommunen eingeführt und werden immer stärker eingesetzt. Dabei geht es nicht darum, Anmerkungen zum formellen Bebauungsplan nun auch per E-Mail einreichen zu können. Digitale Beteiligung meint mehr und umfasst alle Stufen der Beteiligung von der Information bis hin zur Kollaboration, also dem gemeinsamen Entwickeln und Umsetzen auf Augenhöhe. Hierzu werden Tools wie CONSUL, DIPAS oder WECHANGE eingesetzt, deren Entwickler und Dienstleister in der alten Industriehalle in Hildesheim zusammensitzen. Gleichzeitig sind die Erwartungen der dort versammelten kommunalen Akteure vielfältig:

Digitale Instrumente sollen…

  • … Informationen besser bereitstellen:
    Kommunen wollen Informationen über städtebauliche Projekte breit und anschaulich zur Verfügung stellen und damit zum Verständnis über Vorhaben und zur Transparenz der Verfahren beitragen. 
  • ... breitere und umfassendere Beteiligung ermöglichen:
    Mit dem Einsatz digitaler Beteiligungsformate ist die Hoffnung verbunden, Menschen anzusprechen, die aus Motivations-, Zeit-, Informations- oder Erreichbarkeitsgründen – etwa im ländlichen Raum – eher schlecht durch klassisch analoge Verfahren erreicht werden können. Das gilt zum Beispiel für Jugendliche oder familiär stark eingebundene Personen. Auf diesem Weg soll auch die Legitimation von späteren kommunalpolitischen Entscheidungen erhöht werden.
  • … bei der Ideensammlung unterstützen:
    Kommunalverwaltungen möchten Ideen aus der Bürgerschaft sammeln und Meinungsbilder zu Vorschlägen einholen. Es geht darum, die Stadtbevölkerung als Expertinnen und Experten ihrer eigenen Lebenswelt einzubinden, aber auch unterschiedliche Perspektiven und lokale Interessenskonflikte deutlich werden zu lassen. Das Arbeiten auf Kartenbasis oder durch interaktive, dreidimensional visualisierte Veränderung von städtebaulichen Situationen soll helfen, konkrete und für den weiteren Planungsprozess nutzbare Impulse zu gewinnen.
  • … Zusammenarbeit ermöglichen und dabei unterstützen, ein Netzwerk zu schaffen: 
    Vereine, Initiativen und andere zivilgesellschaftliche Akteure sollen sich besser untereinander vernetzen, ihre Angebote sichtbar machen, Mitstreitende finden sowie ein besseres Sprachrohr in die Stadtverwaltung erhalten, um Ortsentwicklungsprozesse mitzugestalten. In Verlängerung ist oft auch eine digitale Infrastruktur gewünscht, die das Organisieren von Projekten und das Teilen von Ressourcen (Räume, Geräte etc.) erleichtert und so auch das ehrenamtliche Engagement unterstützt.

Digitale Instrumente werden dabei stets als ein weiterer Baustein eines Beteiligungsprozesses verstanden. Sie ersetzen analoge Beteiligungselemente nicht, sondern bilden vielmehr ein ergänzendes Element in Beteiligungsprozessen. Und gerade in der Verschneidung der beiden Dimensionen liegen Chancen für „bessere“ Beteiligung. Wie kann das aussehen? Etwa mit einer vorgeschalteten Informationsbereitstellung über digitale Medien, der nachfolgenden analogen Diskussionsveranstaltung, die mit digitalen Instrumenten ergänzt wird, die dann auch nach der Veranstaltung weiterbestehen.

Gruppenbild
Teilnehmende des Barcamps in der Diskussion. Jan Abt, difu

Wer hat den Überblick?

Das Feld der digitalen Tools, die für Beteiligung eingesetzt werden können, ist breit. Sabrina Wehrend ist Abteilungsleiterin Smart City in der Hansestadt Lübeck. Sie hat mit Kim Strupp das Barcamp zu digitalen Beteiligungstools organisiert und resümiert: „Wir und viele andere Kommunen haben zunächst eine große Markterkundung durchgeführt, um einen Überblick zu gewinnen. Insbesondere für Kommunen, die in diesem Bereich noch nicht auf umfangreiche Erfahrung mit digitaler Beteiligung zurückgreifen können, ist das Feld schwer zu überblicken. Wir wollen mit unserer Arbeit auch für Transparenz sorgen und Kommunen befähigen, die für sie passenden Lösungen auszuwählen.“ Typische Tools für digitale Beteiligung in der Stadtentwicklung sind beispielsweise:

  • Beteiligungsplattformen, wie CONSUL, Dialogzentrale oder adhocracy+ als Open-Source-basierte Plattformen, mit denen sich komplexe Beteiligungsverfahren mit Hilfe von einzelnen Modulen wie Themenforen, Umfragen, Abstimmungen, kartenbasierten Ideensammlungen oder Budgetplanungen umsetzen lassen,
  • City-Apps, wie die Smart Village App oder die Open Smart City-App als Tools, die einen neuen Informationskanal für die Kommunikation zwischen Stadtverwaltung sowie Bürgerinnen und Bürgern ermöglichen,
  • Kollaborationsplattformen, wie WECHANGE als Open-Source-Anwendungen zur Zusammenarbeit und Vernetzung von Engagierten in Projektgruppen mit Funktionen, wie Echtzeitzusammenarbeit an Dokumenten, Dateiverwaltung, Kalender, Mitgliedermanagement, Umfragen oder Chat sowie
  • kombinierende, kartenbasierte Tools, wie das Hamburger DIPAS, um Präsenzformate von Beteiligungsverfahren, wie Informationsveranstaltungen oder Workshops mit digitalen Angeboten zu verschneiden. Mit DIPAS können Bürgerinnen und Bürger von zu Hause aus, mobil oder in Veranstaltungen digitale Karten, Luftbilder, Pläne, 3-D-Modelle und Geodaten abrufen und ein genau lokalisiertes Feedback zu Planungsvorhaben geben.

Hinzu kommen weitere spezialisierte Tools wie beispielsweise LimeSurvey für einzelne Umfragen oder durch Kommunen selbst entwickelte Lösungen.

 

Verbinden und Schnittstellen schaffen

Alle Tools erfüllen jeweils bestimmte Aufgaben im Beteiligungskontext: Sie stoßen jedoch je nach Anwendungsfall an ihre Grenzen, da in keinem alle Funktionen vereint sind. In der Smarten KielRegion sind beispielsweise die Tools Dialogzentrale, adhocracy+, DIPAS und WECHANGE gleichzeitig im Einsatz, in Bamberg werden CONSUL und Intrakommuna genutzt. Lübeck und Hildesheim haben sich dagegen bisher für kein Tool entschieden. Unter anderem, weil sie keines finden, das alle Bedarfe abdeckt, aber auch weil sie nicht mehrere anschaffen wollen, die nicht miteinander kommunizieren können. Kim Strupp: „Die Frage ist, wie die ‚Zerfaserung der Tools‘ aufgelöst werden kann – sowohl für die Bürgerinnen und Bürger, die sich nicht bei vier verschiedenen Tools registrieren und sich nicht in unterschiedlichen Benutzeroberflächen einfinden möchten. Aber auch für die Kommunalverwaltung, die sich in verschiedene Tools einarbeiten und diese im Arbeitsalltag administrieren und betreuen können muss.“ Was müsste sich verändern?

Diese Frage ist zentral für das Barcamp in Hildesheim. Für eine bessere Zugänglichkeit für Bürgerinnen und Bürger wird der Ansatz des Single-Sign-Ons (SSO) über verschiedene Tools hinweg diskutiert: Über ein zentrales Konto zur Identifizierung – wie etwa die BundID – kann eine einheitliche Form der Anmeldung im Tool-Ökosystem entstehen. Man muss sich also nicht mehr mehrfach registrieren. Die technische Implementation dieses Ansatzes gilt es nun, für die verschiedenen Tools zu erproben.

Skizze
„Tools so anpassen, dass sie miteinander sprechen können“, fordert Sabrina Wehrend. Das verbessert die Interoperabilität digitaler Beteiligungstools. Jan Abt, difu

Und wie kann die Zusammenarbeit und Interoperabilität der digitalen Beteiligungstools verbessert werden? „Wir müssen darauf hinarbeiten, die Tools so anzupassen, dass sie miteinander sprechen können“, betont Sabrina Wehrend aus Lübeck. „Es geht um ein gemeinsames Datenmodell, letztlich um Standards, wie Informationen von den Tools abgelegt werden. Diese können in den urbanen Datenplattformen zusammenlaufen, die in vielen Smart-City-Kommunen entstehen. Denn diese sind der zentrale Umschlagplatz für alle Daten der Stadt – nicht nur für Daten zu Klima oder Mobilität, sondern auch für alle Daten aus Beteiligungsprozessen.“

Eine Lösungsmöglichkeit für den Datenaustausch zwischen den eigenständigen Tools zeichnet sich auf dem Barcamp in Hildesheim ab: Vertreterinnen und Vertreter der Stadt Hamburg bringen die Participatory-Data-Specification (PDS) ein, die im Rahmen eines EU-Projekts entwickelt wurde und bereits vom Beteiligungstool DIPAS genutzt wird. Diese ermöglicht es, Informationen zum jeweiligen Beteiligungsprojekt und die dortigen digitalen Bürgerbeiträge in standardisiertem Format abzulegen. Damit werden nicht nur die Daten zwischen den Tools austauschbar, sondern auch ganz neue Tools möglich – wie etwa eine automatisch aktualisierte, kartenbasierte Übersicht über alle Beteiligungsverfahren, egal durch welches Tool sie unterstützt werden. In welcher Form diese einheitliche Datenstruktur in den digitalen Beteiligungsinstrumenten aufgegriffen werden kann, wird Aufgabe der nächsten Phase sein. 
 

Kleine, konkrete Schritte zur Beteiligungstoolbox

Die digitale Beteiligung in der Entwicklung von Städten und Regionen auf ein neues Level zu heben, ist ein ehrgeiziges Vorhaben. Und eines, das nur über kleine, konkrete Schritte verfolgt werden kann. Mit den Überlegungen zu einem Single-Sign-On und einem einheitlichen Datenmodell über verschiedene digitale Beteiligungstools hinweg wurden auf dem Barcamp diese Schritte skizziert.

Am Nachmittag des zweiten Barcamp-Tages fällt das Sonnenlicht schwächer werdend durch die hohen Sprossenfenster auf Kim Strupp. Sie wirkt motiviert: Ein Plan für die nächsten Schritte ist gemacht, ein Pilotprojekt wird bestimmt, an dem die vereinbarten Schritte erprobt werden, und ein Netzwerk aus Kommunen, Entwicklern und Dienstleistern für digitale Beteiligungstools wurde geschmiedet. Aber das große Ziel der „Entwicklungspartnerschaft Beteiligungstoolbox“ bleibt: „Unsere Initiative ist offen für alle Interessierten“, schließt Kim Strupp, „um gemeinsam die digitale Beteiligung einfacher zu machen.“

Weitere Informationen zur Mitwirkung an der 
„Entwicklungspartnerschaft Beteiligungstoolbox“: 

Kim Strupp, Smarte KielRegion 
Telefon: +49 431 556 001 26 26
E-Mail: k.strupp@kielregion.de

Sabrina Wehrend, Smart City Lübeck
Telefon: +49 451 122 15 29
E-Mail: sabrina.wehrend@luebeck.de
 

Autorinnen und Autoren
Jan Abt

Jan Abt

Difu - Deutsches Institut für Urbanistik
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