Civitas Connect bei der Arbeit
Michael C. Möller

Motor für Markterschließung: Interkommunale Entwicklung von Open-Source-Software

Die zahlreichen Vorteile von Open-Source-Software sind hinlänglich bekannt. Dennoch kämpfen Kommunen bei der Umsetzung vielfach mit internen Herausforderungen. Wie es gelingen kann, innovative Lösungen durch strategische Zusammenarbeit in einem Team zu kreieren und eine interoperable Software für urbane Datenplattformen zu entwickeln, zeigt unser neuer Blogbeitrag.

30.10.2024

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Trotz der zahlreichen Vorteile hemmen oftmals interne Herausforderungen den Einsatz von Open-Source-Software (OSS) in Kommunen. Doch viele dieser Herausforderungen lassen sich durch kluge, strategische Planung und gezielte Kooperationen abmildern. Ein innovativer und gemeinschaftlicher Ansatz entsteht derzeit unter der Fahne des interkommunalen Vereins Civitas Connect e. V. Hier machen sich Kommunen und kommunale Unternehmen mit einem Community-basierten Konzept auf den Weg, eine interoperable Software für urbane Datenplattformen zu schaffen und langfristig weiterzuentwickeln.

Mit dem zunehmenden Fokus auf digitale Souveränität, offene Standards und Interoperabilität in der kommunalen IT-Landschaft hat sich – unterstützt durch Förderprogramme wie die Modellprojekte Smart Cities (MPSC) – in den vergangenen Jahren der Trend hin zum Einsatz von OSS in Kommunen spürbar verstärkt. Dahinter steht vielfach der Wunsch, die kommunale IT-Infrastruktur kostengünstiger, souveräner, flexibler und sicherer zu gestalten.

OSS – das steht für Software, deren Quellcode, im Gegensatz zur proprietären Software mit geschlossenem Quellcode, öffentlich zugänglich ist. OSS wird unter Lizenzen verbreitet, die Nutzerinnen und Nutzern umfassende Rechte zur Nutzung, Modifikation und Verteilung gewähren. Ein Beispiel ist die MIT-Lizenz, eine permissive Open-Source-Lizenz, die sehr verbreitet ist und zu den unkompliziertesten Open-Source-Lizenzvereinbarungen zählt.

Die Transparenz von OSS bietet für Kommunen zahlreiche Vorteile. Denn OSS ermöglicht es, die Funktionsweise der Software vollständig nachzuvollziehen und sie an spezifische Bedürfnisse oder Anforderungen anzupassen. Das kann nicht nur dazu beitragen, die Sicherheit einer Software zu erhöhen, sondern auch ihre kontinuierliche Fortentwicklung zu befördern. Da keine Lizenzgebühren anfallen, eröffnet OSS darüber hinaus Kostenvorteile gegenüber proprietärer Software, für deren Nutzung Lizenzen erworben werden müssten. Ein weiterer zentraler Vorteil ist die Unabhängigkeit von einzelnen Softwareanbietern und Betreibern. Kommunen vermeiden durch OSS also einerseits Abhängigkeiten – sogenannte Lock-in-Effekte – und haben andererseits volle Kontrolle über ihre IT-Systeme.

Was hemmt den Einsatz von Open-Source-Software?

Auch wenn OSS auf dem Papier zahlreiche Vorteile bietet und bereits für verschiedene Anwendungszwecke zur Verfügung steht, wird sie in der Praxis jedoch vielfach aufgrund interner Hürden nicht eingesetzt. Gründe hierfür sind organisatorische, technische und personelle Herausforderungen, die mit der Implementierung und dem langfristigen Betrieb von OSS einhergehen und den Einsatz gerade für kleinere Kommunen mit begrenzten personellen Ressourcen (vermeintlich) weniger praktikabel machen und Bedenken auf Seiten der Entscheidungsträgerinnen und -träger schüren.

Hinter OSS-Projekten können Softwareunternehmen stehen, die neben der Softwareentwicklung selbst die Nutzenden beim Einsatz der Software unterstützen – im Gegensatz zu proprietärer Software ist das bei OSS allerdings nicht immer der Fall. Fehlt ein Softwareunternehmen mit solch einem Angebot an Supportleistungen, erfordert OSS qualifiziertes Inhouse-Personal mit spezialisiertem Know-how. Denn dieses muss in der Lage sein, die Software eigenständig zu betreiben und anzupassen. Das bedeutet: Eine Kommune muss einen eigenen hohen personellen Aufwand erbringen. Demgegenüber steht jedoch oftmals ein Mangel an Fachkräften und personellen Ressourcen, was die Umsetzung von OSS-Projekten in Kommunen behindern kann.

Ein anderer häufiger Vorbehalt gegenüber OSS betrifft die Sicherheit. Die Vermutung ist naheliegend, dass jede beziehungsweise jeder die Sicherheitslücken sehen kann, wenn der Quellcode offen ist und diese dann auch ausnutzt. Zwar ist es richtig, dass Sicherheitslücken schneller gefunden werden; genau darin liegt aber auch ein immenser Vorteil von Open Source – getreu dem Motto: Mehr Augen sehen auch mehr. Denn wenn klar ist, wo Sicherheitslücken sind, können diese auch schnell gelöst werden. Darüber hinaus können alle Nutzerinnen und Nutzer einer OSS auch eigene Sicherheitsmaßnahmen ergreifen und sogar den Quellcode nach Lücken scannen. Anders ist dies bei proprietärer Software. Auch hier gibt es Sicherheitslücken. Ob diese erkannt und behoben werden, können Nutzerinnen und Nutzer aber im Zweifel nicht erkennen. Da der Zugang zum Quellcode verwehrt bleibt, können darüber hinaus auch keine eigenen Maßnahmen ergriffen werden, die Sicherheit einer genutzten Software sicherzustellen.

Zusammengefasst: Auch wenn bei OSS keine Lizenzkosten anfallen, müssen Kommunen in Personal, IT-Infrastruktur und Wartung investieren. Hinzu kommt der potenzielle Aufwand für die Anpassung und Weiterentwicklung der Software an spezifische kommunale Anforderungen.

 

Gruppenfoto: Die derzeitige Community von Civitas Connect
Die derzeitige Community von Civitas Connect. Michael C. Moeller

Wie kann die Nutzung von OSS gelingen?

Wie aber können nun gerade kleinere und finanziell beziehungsweise personell schlechter aufgestellte Kommunen den Einsatz von OSS realisieren, um von den Vorteilen zu profitieren?

Ein erster und wichtiger Schritt ist der gezielte Aufbau von internem Know-how. Kommunen sollten in die Weiterbildung ihrer IT-Mitarbeitenden investieren, um die notwendigen Fähigkeiten für die Implementierung und den Betrieb von OSS zu entwickeln. Zusätzlich ist es sinnvoll, gemeinsam mit zentralen Entscheidungsträgerinnen und -trägern eine langfristige Strategie für OSS zu entwickeln und sich intern auf bestimmte Standards bei der Beschaffung und dem Einsatz von Software zu verständigen, um die Kompatibilität zwischen verschiedenen Systemen zu gewährleisten.

Neben diesen internen Maßnahmen ist es aber vor allem entscheidend, den Austausch zu Partnern innerhalb der eigenen Kommune und mit anderen Kommunen zu suchen, um Ressourcen zu bündeln und Know-how auszutauschen. Neue, kooperative Konzepte vereinfachen dabei nicht nur den Eigenbetrieb, sondern haben zudem das Potenzial, Dienstleister zu motivieren, auf Basis von OSS neue Leistungsangebote zu entwickeln.

Erfolgsfaktor: Ressourcen interkommunal für eine Open-Source-Datenplattform bündeln

Ein solches kooperatives Konzept ist unter der Flagge des Vereins Civitas Connect e. V. entstanden. Als kommunale Kooperationsplattform vernetzt der Verein Kommunen und kommunale Unternehmen bundesweit miteinander und treibt Wissenstransfer sowie die gemeinsame Projektarbeit im Themenkomplex Smart City und Smart Region voran.

Bereits vor zwei Jahren formierte sich im Rahmen der Vereinsarbeit eine Arbeitsgruppe, die sich intensiv mit Anforderungen an urbane Datenplattformen sowie den am Markt verfügbaren Lösungen auseinandersetzt. Als Gemeinschaft entwickeln nun darauf aufbauend einige MPSC innerhalb des Vereins – darunter unter anderem Bamberg, Haßfurt, Jena, Kassel, Münster, Osnabrück und Paderborn – gemeinsam eine Kerntechnologie für urbane Datenplattformen, die zu 100 Prozent auf Open-Source-Komponenten basiert und dadurch betreiber- und dienstleisterneutral eingesetzt werden kann: die „CIVITAS/CORE”.

Sascha Götz, Leiter des Programms Smart City der Stadt Bamberg, fasst die Vorteile der Gemeinschaft wie folgt zusammen: „Durch die Zusammenarbeit vieler Kommunen an einem Thema, durch die Bündelung der Anforderungen und den Austausch von Ideen, Erfahrungen und Wissen innerhalb dieser Kooperation, kommt der Gedanke unseres Smart-City-Programms gut zur Geltung. Darum ist es auch für uns als Stadt in Haushaltsnotlage ein großer Gewinn an so einer Gemeinschaft teilhaben zu können und eine Lösung nicht nur für die Mitglieder von CIVITAS/CORE sondern für alle Kommunen in Deutschland aufzubauen und mitzugestalten.“

Langfristig gepflegt, weiterentwickelt und koordiniert werden wird die Software im Rahmen dieser Entwicklungsgemeinschaft aus Kommunen und kommunalen Unternehmen unter dem Dach von Civitas Connect e. V. Die Gemeinschaft übernimmt zentrale Rollen und Aufgaben, um das Anforderungsmanagement, die Software-Wartung (Maintenance), grundlegende Entscheidungen über die Softwarearchitektur sowie das Product-Ownership gemeinsam zu lösen und zu finanzieren. Das senkt die Hürden für den Einsatz von OSS in einzelnen Kommunen und bündelt effizient Ressourcen für Entwicklung, Weiterentwicklung und Wartung.

Insbesondere für geförderte Städte stellt sich langfristig die Frage, wie die Finanzierung einer urbanen Datenplattform nach dem Förderzeitraum geleistet werden kann. Für die Stadt Jena ist eben diese Gemeinschaft ein Schlüssel für die langfristige Finanzierung. Martin Berger, Fachdienstleiter Finanzen in der Stadtverwaltung Jena, unterstreicht, dass ihre bisherigen Eigenentwicklungen in eine gemeinschaftliche Basis vieler Städte eingebracht werden könnten und sie damit die Zukunft der Plattform langfristig sicherten.

Ein Markt entsteht um OSS

Nicht Teil der Community-Arbeit sind dabei Individualleistungen rund um die Implementierung, den Betrieb oder die individuelle Weiterentwicklung vor Ort. Genau in diese Lücke können dann private Unternehmen oder auch kommunale IT-Dienstleister eintreten und Angebote am freien Markt unterbreiten. Somit entsteht ein Markt, in dem die Rollen klar verteilt sind.

 

Infografik: Kommunale und private Organisationen im Ökosystem von Civitas Connect: Civitas liefert die Software, danach sind Nutzungs- und Betriebsmodellen keine Grenzen gesetzt.
Kommunale und private Organisationen im Ökosystem von Civitas Connect: Civitas liefert die Software, danach sind Nutzungs- und Betriebsmodellen keine Grenzen gesetzt. Civitas Connect e.V.
  • Civitas Connect organisiert die Community und übersetzt ihre Anforderungen in die Softwareentwicklung.
  • Mitglieder der Community wie Bamberg, Haßfurt, Jena, Kassel, Münster, Osnabrück und Paderborn treffen souverän wesentliche strategische und technische Entscheidungen.
  • IT-Dienstleister am Markt bieten Mitarbeit bei der Softwareentwicklung sowie unterstützende Angebote für Beratung, Betrieb und Anwendungsfallentwicklung für die nutzenden Städten und Regionen an.

Die klare Rollenverteilung sichert Souveränität für die nutzenden Kommunen und kommunalen Unternehmen und schafft nicht nur für die Mitglieder Planungssicherheit, sondern sendet auch Impulse in den Markt, an denen Dienstleister eigene Betriebs- und Beratungsangebote ausrichten können.

Auch für Diethard Sahlender, Chief Technical Officer der Smart Green City Haßfurt, ist das ein entscheidender Faktor, denn: „Die in der CIVITAS/CORE 2.0 angedachten neuen Komponenten wie zum Beispiel die Multi-Mandantenfähigkeit und die datenmodellorientierte Verarbeitung aller Datenströme versetzen uns in die zukünftige Lage, als Betreiber und Dienstleister für weitere Kommunen aufzutreten. Das ist für uns ein wichtiger Bestandteil für die Verstetigung im Smart City-Kontext“.

Nachnutzung und Skalierung von OSS

OSS ist nicht per se nachnutzbar. Die beteiligten MPSCs möchten die Nachnutzungsmöglichkeit von CIVITAS/CORE allerdings maximieren, damit die Technologie für alle einfach zugänglich ist. Wie wird das erreicht?

Die Entwicklungsgemeinschaft hat hierfür mehrere wegweisende Entscheidungen getroffen, auf deren Basis die Softwareentwicklung geschieht. So ist CIVITAS/CORE zwar veröffentlicht und frei zugänglich, allerdings unter der Bedingung, dass Weiterentwicklungen davon ebenfalls veröffentlicht werden. So wird sichergestellt, dass CIVITAS/CORE inklusive aller Verbesserungen und Ergänzungen immer frei zugänglich und nutzbar bleibt. Weiterhin hat die Community eine umfangreiche Dokumentation veröffentlicht, die beschreibt, wie man CIVITAS/CORE nutzt und administriert. Städte und Regionen, wie die mitarbeitenden MPSC-Kommunen, werden erst dadurch in die Lage versetzt, die Software eigenständig zu betreiben. Dies gilt auch für die Nachnutzung durch Kommunen – egal ob sie gefördert sind oder nicht und auch unabhängig davon, ob sie Mitglied im Verein oder Teil der Entwicklungsgemeinschaft für CIVITAS/CORE sind.

Auf den erwähnten Grundlagen kann der Einsatz von CIVITAS/CORE dann skalieren. Der größte Erfolgsfaktor hierzu ist die Community selbst, die eine langfristige Planungssicherheit gewährleistet, indem sie die langfristige Finanzierung, Weiterentwicklung und dauerhafte Veröffentlichung der Entwicklungen sicherstellt – und all das für alle im gleichen Umfang.

Die Erfahrung aus anderen OSS-Projekten zeigt, dass gerade die Schaffung einer stabilen Community für Kommunen sehr herausfordernd ist.

 

Mehrere Personen sitzen um einen Tisch herum und vorne halten zwei Personen einen Vortrag
Die aktive Arbeit in der Community. Michael C. Moeller

OSS als einzige Möglichkeit, Vertrauen und Sicherheit in eine interkommunal-kooperative Softwareentwicklung zu bringen

Mit den richtigen Rahmenbedingungen bietet Open-Source-Software also die ideale Basis um nachhaltig gemeinsam Software zu entwickeln. Das gilt besonders für die MPSC, die modellhafte und übertragbare Lösungen entwickeln möchten. Jedoch reicht es nicht aus, den Quellcode „nur“ zu veröffentlichen. Die kritischen Erfolgsfaktoren für eine einfache Nachnutzung müssen genauso mitgedacht werden ebenso wie der Impuls in die Wirtschaft, auf Basis einer „fremdentwickelten“ Software eigene Wertschöpfungsmodelle entwickeln und sich im besten Fall auch an der Entwicklung beteiligen zu wollen. Werden diese Hürden erfolgreich genommen, ist die Basis für ein sich selbst verstärkendes und skalierfähiges Softwareprojekt gelegt – jedoch zu 100 Prozent kommunal und souverän gesteuert.

 

Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben die Meinung der Autorin oder des Autors wieder. 

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Autorinnen und Autoren